320 Lichtjahre - Dr. Christian Pinter - Artikel

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Dr Christian Pinter
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320 Lichtjahre


Der strahlendste Lichtpunkt im Sternbild „Kreuz des Südens“ heißt „Acrux“. Etwa 320 Lichtjahre entfernt, sehen wir ihn jetzt so, wie er um die Gründungszeit der Wiener Zeitung aussah: Damals, 1703, wurde Isaac Newton in London zum Präsidenten der Royal Society gewählt. An der Bewegung der Erde zweifelte damals kaum noch ein Gelehrter, obwohl kopernikanische Werke auf dem Index der verbotenen Bücher standen.

Die Himmelskunde war stets Teil der Kultur. Gestirne wurden einst mit Göttern und Religionen verwoben. Sie definierten Kalender, wiesen die Richtung oder gestatteten, wie zu Newtons Zeiten, die Standortbestimmung auf See. Lange Zeit erlaubten sie - vermeintlich - einen Blick in die Zukunft. Gelehrte nützten solch handfeste Interessen, um die Erforschung des Himmelszelts voran zu treiben. Der resultierende Wandel unseres Weltbilds ist auch in der Wiener Zeitung dokumentiert.

1703 sahen selbst Stadtbewohner die Sternbilder, umrankt von den alten Mythen und Legenden, noch in Pracht und Erhabenheit. Heute sind 99 Prozent der Sterne fürs Auge verlustig geraten, weil hoch gesandtes Stadtlicht den Himmel in weitem Umfeld besudelt. Nur die kräftigsten Sterne setzen sich noch durch. Die obere Hälfte unserer Umwelt wird der eigenen Anschauung immer mehr entrissen. Damit entschwindet auch ein kulturelles Erbe.
Allegorie der Himmelskunde am Camposanto Monumentale di Pisa - Foto Pinter


Ein anderes Kulturgut, die großformatige Wiener Zeitung, ist jetzt ebenfalls verblasst. Die schwarzgrüne Regierungskoalition wollte es so: Mit einem Gesetzesentwurf zur Wiener Zeitung, der, wie die Redaktion damals festhielt, "nur deren Zerstörung im Sinn" hatte. Wo man den Boulevard mit Regierungsinseraten füttern kann, stören Qualitätszeitungen bloß.

Der politische Handstreich beendete die 320 jährige Geschichte der ältesten Tageszeitung der Welt. Ich bin stolz, fast ein Zehntel dieser Zeitspanne mitgestaltet zu haben, mit mehr als 360 ausführlichen Beiträgen. Für dieses Privileg und Vergnügen danke ich vor allem Redakteur Gerald Schmickl, dem Leiter der Beilage extra.

Als ich ihm Anfang der Neunzigerjahre erstmals Artikel über Astronomie anbot, lenkte er mein Interesse auf historische Aspekte. Die Astronomiegeschichte prägte mein Leben darauf hin mehr als alles andere. Daran erinnern die Fotos etlicher Recherchereisen ebenso, wie die durchgebogenen Bretter meiner Bücherregale: Wer aktuelle Entdeckungen einordnen will, muss die Vergangenheit parat haben – nur so wird die Bedeutung des Neuen fassbar.

Anders als die 320 Jahre lang gedruckte Wiener Zeitung wird der Stern Acrux weiter glänzen. Er zählt zu den hellsten und entzieht sich dank seiner entrückten Lage der heimischen Politik.
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